Der Wegbegleiter für eine erfüllte Beziehung - 20-Jahr-Jubiläumsausgabe – gänzlich überarbeitet und deutlich erweitert!
Über dieses Buch
Bereits die erste Ausgabe von So viel Liebe wie Du brauchst aus dem Jahr 1988 eröffnete hunderttausenden Paaren den Weg zu einer glücklichen, liebevollen und zutiefst erfüllenden Partnerschaft.
Die vorliegende 20-Jahr-Jubiläumsausgabe ist um weitere 20 Jahre an therapeutischer Erfahrung von Harville Hendrix und Helen LaKelly Hunt reicher. Sie enthält ein umfassendes neues Vorwort, neue Übungen und ein neues Kapitel, das in berührender Weise zeigt, wie wichtig es für uns ist, unsere Partnerschaft von negativen Gedanken und jeglicher Kritik zu befreien.
Dieses Buch ist wie eine Orientierungskarte, mit deren Hilfe Paare den Weg zu einer leidenschaftlichen Partnerschaft finden können, der manchmal im Dickicht des Alltags verborgen liegt. Die Anleitungen und Übungen dieses Buches haben sich seit Jahrzehnten in der Praxis bewährt. Es wurde bereits in mehr als 50 Sprachen übersetzt.
Über die Autoren
Harville Hendrix, Ph.D., und seine Frau Helen LaKelly Hunt, Ph.D., begründeten die außergewöhnlich erfolgreiche Imago-Paartherapie, einen heilenden Weg für Paare aller Altersstufen und Lebensumstände. Inzwischen gibt es weltweit schon mehr als 2.000 Imago-TherapeutInnen und immer mehr Imago-Workshop-Presenter. Harville und Helen können bereits auf mehr als 30 Jahre Erfahrung in der therapeutischen Arbeit mit Paaren zurückblicken. Harville hält großartige Vorträge und leitete gemeinsam mit seiner Frau unzählige Paar-Workshops. Helen ist in der Frauenbewegung aktiv und wurde für ihr großes Engagement für das weibliche Selbstbewusstsein mit einer Eintragung in die National Women’s Hall of Fame geehrt.
Helen und Harville haben sechs Kinder und leben in New York und in New Mexico.
Inhalt
Anerkennung für Jo Robinson
Danksagungen
Vorwort zur 20-Jahr-Jubiläumsausgabe von So viel Liebe wie Du brauchst
Einleitung zur Ausgabe von 2001
Einleitung zur Ausgabe von 1988
Die unbewusste Partnerschaft
Das Geheimnis gegenseitiger Anziehung
Kindheitswunden
Unsere Imago
Die Phase der romantischen Liebe
Der Machtkampf
Teil II Die bewusste Partnerschaft
Bewusstwerdung
Verlässlich füreinander da sein
Eine Atmosphäre der Sicherheit schaffen
Sich selbst und den Partner besser kennen lernen
Unsere persönlichen Wachstumschancen erkennen
Einen heiligen Raum für uns schaffen
Porträt zweier Partnerschaften
Teil III Übungen
Zehn Schritte zu einer bewussten Partnerschaft
Übung 1 Ihre Beziehungsvision
Übung 2 Kindheitswunden
Übung 3 Erarbeitung Ihrer persönlichen Imago
Übung 4 Entscheidende Kindheitsverletzungen
Übung 5 Eltern-Kind-Dialog
Übung 6 Partner-Profil
Übung 7 Unerledigtes aus der Kindheit
Übung 8 Der Imago-Dialog
Übung 9 Beziehungs-Ausgänge schließen
Übung 10 Wiederverlieben in der Partnerschaft
Übung 11 Die Überraschungsliste
Übung 12 Die Spaßliste - „High Energy Fun“
Übung13 Positives Überfluten
Übung14 Der Dialog „Bitte um Verhaltensänderung“
Übung15 Die Wiege
Übung16 Meinen Partner in einem positiven Licht sehen
Übung17 Integration meiner Selbstanteile
Übung18 Visualisierung der Liebe
Professionelle Hilfe
IGÖ - Imago Gesellschaft Österreich
Bibliographie
Hinweis:
Die Arbeitsblätter zu allen Übungen finden Sie auch im DIN A4-Format als PDF-Download unter der Webadresse:
Anerkennung für Jo Robinson
Vor 20 Jahren war die Entscheidung in mir herangereift, meine Gedanken und Theorien über das Thema Partnerschaft einer breiten Leserschaft zu widmen, anstatt ein Fachbuch für Menschen, die sich in beruflicher Hinsicht mit Partnerschaft befassen, zu schreiben. Mein Verleger vom Verlag Holt empfahl mir daraufhin, professionelle Unterstützung für mein Buchprojekt zu suchen. Ich stimmte ihm sofort zu, schließlich war es mein erster Versuch, ein populärwissenschaftliches Buch zu verfassen. Nach etwa fünf potenziellen KandidatInnen wurde ich mit Jo Robinson bekannt gemacht.
Ich hatte den Eindruck, dass sie sofort nachvollziehen konnte, was mir vorschwebte.
Jo Robinson ist die Autorin der beiden Bücher Unplug the Christmas Machine und Full House. In den darauf folgenden Jahren fanden einige Bücher, deren Autorin oder Koautorin sie war, Aufnahme in die Bestsellerliste der New York Times, zum Beispiel Hot Monogamy (Heiße Liebe in festen Partnerschaften), The Omega Diet (Die OMEGA-Diät), When Your Body Gets the Blues und Pasture Perfect.
Für die Erstausgabe dieses Buches überreichte ich ihr ein Rohmanuskript und zahlreiche Mitschriften von meinen Seminaren und Workshops. Jo Robinson arbeitete unermüdlich daran, dieses unstrukturierte und stellenweise etwas unpräzise Manuskript in eine übersichtliche, strukturierte und beeindruckend gute Endversion zu verwandeln. Auch als wir Jahre später die erste überarbeitete Neuauflage planten, war Jo wieder dazu bereit, alle Änderungen und Erweiterungen hinzuzufügen und in die Ausgabe von 2001 einfließen zu lassen. Auch für die vorliegende, dritte „Inkarnation“ von So viel Liebe wie Du brauchst sagte sie ohne Zögern zu, Helen und mir unter die Arme zu greifen, um unser Buch intensiv zu bearbeiten, zu erweitern und ein ganz neues Vorwort dafür zu schreiben. Das beeindruckte uns umso mehr, da Jo gleichzeitig an einigen anderen Projekten zu arbeiten hatte und mit den Vorbereitungen für ihre eigene Hochzeit beschäftigt war. Wie schon zu Beginn unserer Zusammenarbeit vertiefte sie sich in beeindruckender Weise in unsere Manuskripte, nahm sogar an einem Paarworkshop teil und pflegte in der langen Vorbereitungsphase für diese Neuauflage einen regen Austausch mit Helen und mir.
Wir fühlen uns Jo Robinson zu großem Dank für unsere Zusammenarbeit während der vergangenen 20 Jahre verpflichtet, für ihr beeindruckendes Engagement für unser Buchprojekt und ebenso für unsere persönliche Freundschaft. Ohne ihre Klugheit und schriftstellerische Begabung wäre es schwieriger für uns alle, die Liebe, die wir brauchen, tatsächlich zu finden. Danke, Jo!
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Verbundenheit
Während wir mit der Arbeit an diesem Vorwort beschäftigt waren, erkannten wir, dass es uns ein großes Anliegen war, unseren Lesern mehr zu vermitteln, als nur die Änderungen dieser Neufassung zu erklären. Wir entschlossen uns vielmehr, bei dieser Gelegenheit einige unserer grundlegenden Erkenntnisse über Liebesbeziehungen zu nennen, Erkenntnisse, die die Basis für jede einzelne Aussage dieses Buches darstellen. Helen und ich sind mittlerweile an einem Punkt unseres Lebens und unserer therapeutischen Arbeit angelangt, an dem es uns angemessen erscheint, eine persönliche Bilanz zu ziehen.
Gegen Ende seiner therapeutischen Laufbahn stellte Sigmund Freud die nunmehr legendäre Frage: „Was wollen Frauen eigentlich?“ Auch wir haben lange nach einer Antwort auf eine entscheidende Frage gesucht: „Was erwarten sich Frauen und Männer eigentlich von ihrer Beziehung?“ Und wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass die Antwort auf Freuds Frage und auf unsere Frage, und im Grunde die Antwort auf die große unbeantwortete Frage der gesamten Menschheit, ein und dieselbe ist.
Mehr als alles andere streben wir nach Verbundenheit - Verbundenheit mit den unterdrückten Teilen unseres Unterbewusstseins, Verbundenheit mit anderen Menschen und Verbundenheit mit dem gesamten Universum. Wir können uns kein erfülltes Leben vorstellen ohne eine tiefgehende Beziehung mit einem anderen Menschen, und - darüber hinaus - zur Welt an sich. Um mit Martin Buber zu sprechen: Jeder Mensch braucht ein „Du“, um ein vollständiges und erfülltes „Ich“ zu werden.
Rückblickend erkennen wir, dass unser Lebenswerk darin bestand Paaren zu helfen, den Bindestrich in Bubers „Ich-Du“-Beziehung herzustellen. In dieser bedeutungsvollen und vielbeachteten Schreibweise dient der Bindestrich sowohl als Bindeglied als auch als Abstandhalter. Er symbolisiert die Tatsache, dass in sehr erfüllten Beziehungen zwei Menschen sowohl intim miteinander verbunden sind, als auch wertschätzenden Abstand zueinander bewahren, wodurch sie die Eigenständigkeit ihres Partners respektieren. Das Wesen dieser Beziehungsform kann also weder durch den Ausdruck „Ich und Du“ noch durch „IchDu“ korrekt beschrieben werden.
Es ist eine „Ich-Du“-Beziehung. Beide Partner sind gleichzeitig eigenständig und verbunden.
Der alles entscheidende Ausdruck hier ist also „Verbundenheit“. Für uns bedeutet er weit mehr als nur ein psychologischer Terminus menschlicher Erfahrung. Aus unserem ausführlichen Studium anderer Geisteswissenschaften gewannen wir die feste Überzeugung, dass „Verbundenheit“ das Wesen unseres Universums beschreibt.
Und da wir Menschen ein integraler Bestandteil dieses Universums sind, beschreibt sie auch uns. Alles steht miteinander in energetischer Verbindung - somit auch wir. Es entspricht zutiefst der menschlichen Natur, nach Verbundenheit zu streben. Falls wir uns mit nichts und niemandem verbunden fühlen, dann nur deshalb, weil ein schmerzhaftes Ereignis das bewusste Gefühl dieser Verbundenheit unterbrochen hat.
Deshalb sind wir uns manchmal dessen nicht bewusst, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind, aber das Getrennt-Sein ist lediglich eine Illusion. Es ist nicht möglich, nicht verbunden zu sein.
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Das Geheimnis gegenseitiger Anziehung
Zu welchen Menschen wir uns hingezogen fühlen,
sagt viel über unser innerstes Wesen aus.
Ortega y Gasset
Kommen Paare zu einer Paartherapie, frage ich sie stets, wie sie einander kennen gelernt haben. Maggie und Victor, beide Mitte Fünfzig, trugen sich mit Scheidungsgedanken. Dennoch erzählten sie mir mit leuchtenden Augen, wie sie sich ineinander verliebt hatten:
„Wir haben uns während unseres Studiums kennen gelernt“, erinnerte sich Maggie. „Wir wohnten in einem großen Haus zur Miete und teilten uns eine Küche. Als ich eines Tages mein Frühstück zubereitete, erblickte ich diesen Mann - Victor -, der gerade die Küche betrat. Plötzlich überfielen mich die merkwürdigsten Empfindungen.
Meine Füße wollten mich zu ihm bringen, doch gleichzeitig befahl mir mein Kopf auf Distanz zu bleiben. Ich spürte diese Gefühle so stark, dass ich dachte, ich müsste ohnmächtig werden, und so setzte ich mich schnell auf einen Stuhl.“
Nachdem Maggie sich von diesem Schock erholt hatte, machte sie sich mit Victor bekannt, und beide verbrachten den halben Vormittag in einem intensiven Gespräch.
„Damit begann unsere Liebesbeziehung“, sagte Victor, „in den nächsten zwei Monaten verbrachten wir jede freie Minute miteinander, bis wir schließlich gemeinsam durchbrannten.“
„Wäre es damals eine sexuell freiere Zeit gewesen“, fügte Maggie hinzu, „wären wir wohl gleich ein Liebespaar geworden. Noch nie zuvor habe ich mich so stark zu einem anderen Menschen hingezogen gefühlt.“
Nicht jede erste Begegnung verursacht derart seismische Schwingungen. Rayna und Mark, beide zehn Jahre jünger, erlebten eine länger andauernde und viel gemäßigtere Phase des Kennenlernens. Sie lernten sich bei einer gemeinsamen Freundin kennen. Rayna hatte ihre Freundin gefragt, ob sie nicht interessante, unverheiratete Männer kenne. Die Freundin erwähnte Mark, einen attraktiven, frisch geschiedenen Mann. Doch sie zögerte, die beiden miteinander bekannt zu machen, weil sie dachte, sie würden nicht zueinander passen. „Er ist sehr groß und du bist eher klein“, erklärte sie Rayna, „er ist Protestant und du bist Jüdin.“ Doch Rayna fand alle angeführten Gründe bedeutungslos und meinte: „Für einen netten Abend ist es doch nicht so wichtig, ob wir unterschiedlich sind!“
Trotz ihrer Bedenken lud diese Freundin Rayna und Mark zu einer Wahlparty ein.
„Mark gefiel mir auf Anhieb gut“, erinnerte sich Rayna. „Auf seine ruhige Art wirkte er sehr interessant. Den ganzen Abend haben wir uns in der Küche unterhalten.“ Rayna lachte, als sie sich zurückerinnerte: „Ich denke, ich werde wohl den Hauptteil der Unterhaltung bestritten haben!“
Rayna war sich sicher, dass Mark sie ebenfalls attraktiv fand, und erwartete seinen Anruf für den nächsten Tag. Doch nach drei Wochen hatte sie immer noch nichts von ihm gehört. Schließlich bat sie ihre Freundin nachzuforschen, ob Mark auch an ihr interessiert sei. Auf Drängen der Freundin lud Mark Rayna zu einem Kinobesuch ein.
Damit begann ihre Beziehung, die sich jedoch nie zu einer leidenschaftlichen Romanze entwickelte. „Wir trafen einander eine Zeit lang, dann sahen wir einander wieder mehrere Wochen nicht“, erzählte Mark. „Dann verabredeten wir uns doch wieder - und drei Jahre später heirateten wir.“
„Und was interessant ist, Mark und ich sind noch immer verheiratet, die Freundin, die uns verkuppelt hat, aber schon lange nicht mehr.“
Diese unterschiedlichen Erzählungen werfen wichtige Fragen auf. Warum verlieben sich einige Menschen mit so starker Intensität, sozusagen auf den ersten Blick?
Warum geht bei anderen eine Freundschaft langsam und fast unmerklich in eine Liebesbeziehung über? Warum weisen so viele Paare, ähnlich wie Rayna und Mark, sehr gegensätzliche Charakterzüge auf? Wenn wir Antworten auf diese Fragen finden können, finden wir auch wichtige Hinweise auf die versteckten psychologischen Bedürfnisse, die einer Liebesbeziehung zu Grunde liegen.
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Kindheitswunden
Das Alter ist nicht besser, noch nicht einmal
genauso gut zum Lehrer geeignet wie die Jugend,
denn es hat mehr verloren, als es gewonnen hat.
Henry David Thoreau
Bei den Worten „psychologische und emotionale Verwundungen aus der Kindheit“ werden Sie wahrscheinlich sofort an schwerwiegende Kindheitstraumata denken, wie Kindesmisshandlung, sexuellen Missbrauch, Scheidung, Tod oder Alkoholismus der Eltern. Für viele Menschen war und ist dies auch die tragische Realität ihrer Kindheit.
Aber auch wenn Sie in einer relativ sicheren, fürsorglichen Atmosphäre aufgewachsen sind, werden Sie unsichtbare Verletzungen aus Ihrer Kindheit mit sich herumtragen, da Sie vom Augenblick Ihrer Geburt an ein komplexes, abhängiges Wesen mit nicht endenwollenden Bedürfnissen waren. Freud bezeichnete uns Menschen zu Recht als „unersättliche Wesen“. Wie engagiert Eltern auch sein mögen, es kann ihnen dennoch nicht gelingen, all die unterschiedlichen Bedürfnisse eines Kindes perfekt zu erfüllen.
Bevor wir näher darauf eingehen, auf welche bisher kaum merkliche Weise vielleicht auch Sie verletzt worden sind und diese Verwundungen sich auf Ihre heutige Liebesbeziehung auswirken, lassen Sie uns zuerst einmal genau ansehen, wie die Situation war, als Sie zur Welt kamen, weil dieser Zustand der „ursprünglichen Ganzheit“ den wichtigsten Schlüssel zu den versteckten Erwartungen enthält, die Sie in Ihre Ehe mitgebracht haben.
Unsere ursprüngliche Ganzheit
Niemand von uns kann sich an das geheimnisvolle Leben vor seiner Geburt erinnern, und doch wissen wir heute schon eine ganze Menge über das Leben eines Fötus. Wir wissen, dass seine biologischen Bedürfnisse sofort und perfekt befriedigt werden - durch den Austausch der entsprechenden Flüssigkeiten und der Nahrung mit seiner Mutter. Wir wissen, dass ein Fötus weder atmen noch essen muss, sich nicht vor Gefahren zu schützen braucht und dass er ständig durch das gleichmäßige, rhythmische Pochen des mütterlichen Herzens beruhigt wird. Durch diese biologischen Fakten und durch Beobachtungen an Neugeborenen kann man sagen, dass ein Fötus ein ruhiges, behütetes und angenehmes Leben führt, ohne sich anstrengen zu müssen. Er wird nicht mit Einschränkungen konfrontiert, ist sich seiner selbst nicht bewusst und weiß auch nicht, dass er in der Gebärmutter eingeschlossen ist. Weit verbreitet ist die Auffassung, dass das Kind im Bauch der Mutter einen paradiesischen Zustand der Ganzheit erlebt, der frei von Wünschen ist. Der bekannte jüdische Theologe Martin Buber fasste diesen Zustand in Worte: „Solange wir im Bauch unserer Mutter waren, lebten wir ganz in Einklang mit dem Universum.“
Diese idyllische Existenz findet ein abruptes Ende, wenn bei der Mutter die Wehen einsetzen, die das Baby ausstoßen. Doch in den ersten Monaten des Daseins, wo auch gesunde Kinder sozusagen eine autistische Phase durchleben, kann das kleine Kind noch nicht zwischen sich selbst und dem Rest der Welt unterscheiden. Im zweiten Jahr unserer Ehe wurde Helen und mir unsere Tochter Leah geschenkt und wir erinnern uns nur allzu gern an diese Zeit zurück. Waren alle ihre physischen Bedürfnisse befriedigt, kuschelte Leah sich in unsere Arme und blickte mit der Zufriedenheit eines kleinen Buddhas um sich. Wie alle Babys in diesem Alter nahm sie sich selbst noch nicht als eigenständiges Wesen wahr und konnte nicht zwischen ihren Gefühle, Gedanken und Handlungen unterscheiden. In unseren Augen erfuhr sie zu dieser Zeit eine sehr ursprüngliche Spiritualität und erfuhr ein Universum ohne Grenzen. War sie auch unreif und hing ihr Überleben gänzlich von ihrer Mutter und mir ab, so war sie doch ein lebendiges und vollständiges, menschliches Wesen - in mancher Hinsicht vollständiger, als sie es in ihrem späteren Leben je wieder sein würde.
Als Erwachsene scheinen wir noch flüchtige Erinnerungen an diesen Zustand der ursprünglichen Ganzheit zu besitzen, eine Erfahrung, die ebenso schwer zu fassen ist wie ein schöner Traum. Wir meinen, uns an eine Zeit erinnern zu können, in der wir uns als „vollständig und ganz“ erlebten und uns viel stärker mit der Welt rund um uns verbunden fühlten. Dieses Gefühl wird in den Märchen und Sagen aller Kulturen wieder und wieder beschrieben, als könnte ihm das Erzählen davon mehr Realität verleihen.
Es ist die Geschichte des Garten Edens, die uns immer wieder mit großer Macht berührt.
Was hat dies nun mit der Ehe zu tun? Aus unerfindlichen Gründen erwarten wir in der Ehe von unserem Partner, dass er uns auf wundersame Weise dieses Gefühl der ursprünglichen Ganzheit wieder vermitteln kann und wird. Es ist, als hielte er den Schlüssel zu einem lange verloren geglaubten Königreich in der Hand, und wir müssten ihn nur überreden, es für uns aufzuschließen. Gelingt es ihm nicht, werden wir sehr
traurig, fühlen uns unglücklich und unverstanden.